Tag 29 – Karasjok—Lakselv

Tag 29 – Karasjok—Lakselv

Der Morgen beginnt mit einer ausgiebigen Dusche, Orangensaft und Kakao, Nussnougatcreme auf Brot und Porridge mit viel Honig. Inzwischen finde ich – ich traue mich kaum, es zu sagen – die Billigcremes von Coop und REMA besser als nutella. Mal sehen, ob ich zuhause vielleicht auch eine Alternative finde.
Heute wollte ich etwas eher los, nachdem der gestrige Tag bloß so kurz war, und schaffe es nach einem den Aufenthalt abschließenden Geocache immerhin um 11.15 Uhr vom Platz und nicht erst um 12. Die erste Steigung vom Campingplatz zurück zur Straße ist heute nur eine von vielen, wie sich später herausstellt. Ich fahre die E6 entlang nach Lakselv.

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Auf dem Weg treffe ich Bernd. Wobei – treffen ist da fast schon etwas zu hoch gegriffen. Bernd sitzt bräsig in seinem in Hamm gemeldeten Wohnmobil, auf das er einst in kalenderspruchphilosophischem Übereifer den Satz Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum! aufklebte. Und das tut er. Zumindest, wenn ich davon ausgehe, dass er schon immer Verkehrserzieher werden wollte. Bernd ist besorgt. Trotz traumhafter Landschaften kann er sich nicht entspannen. Wie auch, wenn auf jedem Kilometer gleich mehrfach die zweirädrige Gefahr lauert? Radfahrer. Pfui. Die hatte er schon immer gehasst. Schließlich nehmen sie ihm den wertvollen Platz auf der Straße und damit beinahe die Luft zum Atmen. Dem zeige ich es, was hat der hier überhaupt zu suchen? muss er sich denken, als er völlig grundlos nur wenige Zentimeter Abstand haltend an mir vorbeifährt, anstatt wie zig Wagen vor und nach ihm eben die Spur zu wechseln, die auch hier frei gewesen wäre. Und damit die ganze Aktion auch Wirkung zeigt, erkundigt er sich noch schnell über den ordnungsgemäßen Zustand seiner Fanfare und zieht von dannen. Was für eine Kartoffel. Danke, Bernd. Danke für nichts.

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Grummelnd ob der Idiotie kämpfe ich mich weiter den Anstieg hoch und bekomme dabei allerhand Gegenwind entgegengesetzt. Selbst an kleineren Abstiegen komme ich kaum auf nennenswerte Geschwindigkeiten, so sehr drückt der Wind mich zurück.
Am „Gipfel“ angekommen werde ich dann aber mit einer Aussicht belohnt, die mich noch einige Kilometer lang begleiten wird: Berge. Teilweise mit Schnee bedeckt, teilweise nicht. Als wenig später noch Wasser dazukommt, kann ich kaum mehr an mich halten und fühle mich wie im Paradies. Berge haben es mir ohnehin schon immer mehr angetan als das Meer, in Verbindung mit Wasser und Schnee ist es dann aber perfekt.

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Ich fahre die ganze Zeit entlang der E6, bis ich auf eine Ausschilderung zu einem Kultursti treffe. Bei Skoganvarre gibt es die Überreste eines Lazaretts aus dem zweiten Weltkrieg zu sehen und so laufe ich den Stieg einige hundert Meter entlang, lese die Schilder und nehme einige Photos auf. Neben einem explodierten Luftschutzbunker sind noch Reste von Badstuben und anderen zu erahnen. Es liegen einige Betontrümmer und noch mehr verrostete Metallgegenstände herum; auch rostige Nutzfahrzeukarosserien stehen hier mitten im Wald.

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Um zum Anfang der kleinen Route zu gelangen, muss ich über eine Fußgängerhängebrücke, die vor Betreten noch recht anständig aussieht. Kaum einen Fuß drauf gesetzt, quietscht und wackelt sie dann aber ganz fürchterlich und ich spiele in meinem Kopf bereits Szenarien durch, wie ich mich am besten an Land rette, sollte ich fallen. Einen Schritt vorsichtig vor den anderen setzend, um nicht zu viel Bewegung auszulösen, komme ich dann aber beide Male unbeschadet auf die andere Seite. Erst zurück am Fahrrad angekommen fällt mir auf, dass ich es eine halbe Stunde lang einfach so außer Sichtweite habe stehen lassen. Naja.

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Weiter geht es und die Großartigkeit setzt sich nur fort. Ich scheitere ein wenig, die Atmosphäre in Photos festzuhalten, also gehe ich irgendwann dazu über, einfach mehr den Moment zu genießen, ohne mich ablenken zu lassen.
Zwischen Skoganvarre und an Porsangmoen vorbei befindet sich ein mehrere Kilometer langes Militärgebiet, in dem das Photographieren, Campen und sogar Anhalten verboten sind. Froh, wenigstens atmen und durchfahren zu dürfen, durchquere ich die Zone und lasse mich gelegentlich doch zu einem Photo hinreißen. Zu schön ist die Umgebung, um sie nicht festzuhalten. Vor und nach jedem Bild sehe ich mich um, nicht ahnend, was wohl passieren mag, wenn ich erwischt werde.

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Kurz nach Ende des Gebiets treffe ich auf David und Elias, zwei schweizer Jungs, die etwa zur gleichen Zeit losgefahren sind wie ich – bloß hunderte Kilometer weiter südlich in der mittleren Schweiz. Wir fahren einige Kilometer zusammen und ich bin dankbar darüber, dass sie mich zu höheren Geschwindigkeiten antreiben, da ich vor ihrem Eintreffen nur mit 17km/h umhergegurkt bin.
In Lakselv angekommen beschließen die beiden nach ihren heutigen 190km auf einem Campingplatz einzukehren, während ich zunächst vorhabe, schnell was einzukaufen, um dann noch 15-25km zu fahren. Als die beiden gerade weg sind und ich aus dem Coop wieder heraus, ärgere ich mich, denn während des Einkaufens habe ich mich umentschieden. So warte ich eine Weile vor dem Laden, wissend, dass sie auch noch einkaufen wollten, nach einer halben Stunde ist mir das dann aber doch zu albern.
Ich fahre also auf gut Glück zum nächsten Campingplatz, dem Fjortutsikten und sehe neben einem Zelt die Taschen der beiden wieder. Glück gehabt! Ich bin nach wie vor zu früh hier oben, also kann ich problemlos heute schon Schluss machen.
Da wir drei die ersten Camper des Jahres sind, lässt die Rezeptionistin mich für 50NOK, also etwa 5€ unterkommen. Inklusive Duschen und Waschmaschinen ein unfassbaren Schnäppchen, noch dazu mit Meerblick.

https://www.instagram.com/p/BF9kGl_F3Oh/

Als die beiden vom Einkaufen wiederkommen, laden sie mich zum Essen ein – Curryhühnchen mit Reis. Dank riesiger Portionen bin ich am Ende sehr satt und dankbar, denn es war deutlich leckrer als es eine meiner Dosen hätte sein können. Wir quatschen über dies und das und ich finde heraus, dass sie täglich im Schnitt 150km fahren, aber auch schon 200er Tage haben. Sportlich! Dafür bleiben die mir wichtigen Pausen mit Photos und Entspannung eher auf der Strecke.

https://www.instagram.com/p/BF96XlUF3L2/

Kurz vor Mitternacht gehen wir raus aus der Campingplatzküche zu unseren Zelten und finden vor, an was keiner von uns sich bisher gewöhnt hat: Eine einige Grad über dem Horizont stehende Sonne und das Gefühl hellichten Tages. Es wirkt surreal, mit der Meer- und Bergkulisse aber wunderschön.
Die beiden wollen morgen Nacht schon am Nordkap sein – 192km sind es – und dafür um acht Uhr losfahren, also werden wir uns wenn überhaupt morgen bei meinem Aufstehen noch mal sehen, wenn sie losfahren. Eine sehr angenehme Begegnung und ein toller Tag mit atemberaubenden Eindrücken gehen vorbei. In drei Tagen sollte ich mein Ziel erreicht haben.

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3 Replies to “Tag 29 – Karasjok—Lakselv”

  1. Könnte es nicht sein, dass Bernd nur ein schlechter Fahrer ist und nur etwas knapp überholte und mit der Hupe Beifall zollen wollte?
    Naiv, ich weiß, aber ich glaube an das Gute im Autofahrer. Vor allem, wenn die Straße frei ist.
    Obschon mir da eine Szene einfällt, zugegeben ich fuhr in Serpentinen auf ganzer Straßenbreite, in der mich auch jemand hupnacherziehen wollte.

  2. Oh ja, der deutsche Verkehrserzieher gewissen Alters … Leider ein Vorurteil, das ausreichend oft bestätigt wird, dass es auffällt. Aber solche Armlöcher gibt es wohl immer wieder. Lass Dich von solchen Leuten bloß nicht ärgern.

    Als ich in Großbritannien unterwegs war, wurde ich generell sehr eng überholt – offenbar sind sich eine große Anzahl an Leuten nicht darüber bewusst, sie sich das als Radler anfühlt, wenn der Luftspalt zwischen den Fahrzeugen deutlich unter einem halben Meter hat. Abhilfe hat dort eine Fahne aus einem Souvenirladen geschaffen, die ich zur Straßenseite (also in diesem Fall nach rechts) an meinen Packsack gesteckt habe, um so wenigstens 40 Extra-Zentimeter Platz zu haben.

    Darf ich, ohne wie ein klugscheißender Rechtschreibbesserwisser rüberzukommen, auf einen kleinen Autokorrekturfehler in diesem Text hinweisen? „…anstatt wie zig Wagen vor und nach ihm eben die SourceForge zu wechseln…“ liest sich seltsam :)

    Hab weiterhin eine gute Reise.

    1. Die zwei Schweizer haben es mit der Fahne tatsächlich genauso gemacht. Fast alle Skandinavier haben aber bisher vorbildlich Abstand gehalten. Nur „Bernd“ und einige deutsche Reisebusfahrer nahmen den Abstand gestern eher nicht so wichtig.

      Upsa! Danke!

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