Tag 32 – Nordkapp—Nordkapptunnel (Magerøya)
Gestern Abend kam ein Stuttgarter Paar auf Rädern an und ich habe schon von weitem erkannt, dass sie die gleichen Taschen mit Elch drauf montiert haben wie ich. Die beiden sind nach Alta geflogen und von dort aus hierher aufgebrochen. Schnell entwickelte sich ein Gespräch und wir saßen noch bis fast ein Uhr zusammen beim Globus und amüsierten uns über die Schiffs- bzw. Bustouristen, die Photos machen wollen, auf denen sie den Globus oder die Sonne halten. Von der anderen Seite aus betrachtet sieht das aber auch wirklich albern aus, wenn mehrere Menschen an verschiedenen Stellen ihre Arme in die Luft strecken; in meinem Kopf spielt YMCA.
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Mein Zelt hatte ich in einem Moment der Windstille aufgestellt, sodass ich diesmal die Nacht nicht völlig im Freien verbringen musste wie gestern. Danach sind noch allerlei Photos entstanden, denn der Globus und die Menschen auf dem Plateau sorgen im Gegenlicht der Sonne für fabelhafte Silhouetten.
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Und heute dann einer der ersten Gedanken: Ich habe alles richtig gemacht. Nachdem das Wetter gestern großartig war – den Tag über relativ wenig Wind, viel Sonne, wenige Wolken –, ist es heute komplett zugezogen und die Temperatur gerade noch so zweistellig. Beim Blick aus dem Zelt nach einer sehr erholsamen Nacht sehe ich erstmal nicht viel. Die Steine um mein Nachtlager herum erkenne ich noch, ebenso das daneben stehende Rad, aber das war es im Prinzip. Dichter Nebel hat das ganze Nordkapp-Plateau eingenommen und der kräftige Wind aus Nordwest-Richtung bläst die Schwaden eindrucksvoll über die Fläche. Als ich mein Zelt eingepackt habe und zur Nordkapphalle aufbrechen möchte, kann ich sie erst wenige Meter vorher tatsächlich sehen, so neblig ist es. Aus dem Restaurant, von dem aus ich gestern lange auf den Globus schaute, ist draußen bloß der steinerne Wegweiser, auf dem die Orte entlang der Mitternachtssonnenroute eingemeißelt sind, zu erahnen.
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Meine Wanderung zum Knivskjellodden steht etwas auf der Kippe, denn ohne viel zu sehen würde ich dann nur des wirklich nördlichsten Punkts Norwegens (von Spitsbergen abgesehen) wegen aufbrechen. Und für den Geocache an der Spitze. Einer der Mitarbeiter hier sagt mir allerdings, dass es durch die bedeutend geringere Höhe der Landzunge im Vergleich zum Plateau möglich sein könnte, dass dort die Sicht besser ist. Mal schauen.
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Als ich um 13.30 Uhr nach allerhand Getrödel, einem Frühstück aus Eigenvorräten und Starren in den Nebel starten will, tippt mir jemand auf die Schulter und sagt: You made it! – Du hast es geschafft!
Es ist der Holländer, den ich zu Beginn der hohen Küste kurz hinter Sundsvall getroffen hatte und mit dem ich bis Timrå gefahren war. Es gibt zwar nicht so viele unterschiedliche Wege hier hoch, aber dass wir uns nach mehr als 1000km und einigen Tagen hier oben passend treffen, ist schon ein sehr schöner Timingzufall!
Auch allerhand Fremde sprechen mich an, als ich die letzten Sachen verstaue, ich führe portionsweise Gespräche, erkläre meine Reise und breche schließlich auf. Immer wieder kommen Wohnmobile und Busse aus dem vernebelten Nichts und verschwinden hinter mir wieder darin; die Sichtweite ist stellenweise geringer als 20m. Zusätzlich drückt noch heftiger Wind aus Nordwest- bis Westrichtung und lässt mich den Plan, zum Knivskjellodden zu wandern schnell vergessen. Dann habe ich eben nur den nördlichstenper Straße erreichbaren Punkt Europas erreicht, das ist auch okay. (Ich muss hier noch mal hoch. Das geht doch so nicht!)
13km vom Kap entfernt geht es rechts lang nach Honningsvåg und links lang nach Skarsvåg, wo auch der auf der Karte als Aussichtspunkt markierte Kirkeporten liegt. Wenn ich es schon nicht den Wanderpfad entlang schaffe, möchte ich wenigstens dorthin, auch wenn ich nicht genau weiß, was mich erwartet. Ich erinnere mich bloß, dass die zwei Schweizer diesen Punkt erwähnten.
Nach wenigen hundert Metern einen Wanderweg entlang – erst auf einen Hügel hoch, dann wieder runter – sehe ich den Bogen, der sich in Stein wohl irgendwann so gebildet hat und stelle mir vor, wie schön es doch wäre, die Mitternachtssonne dort hindurchscheinen zu sehen, wenn der Blickwinkel stimmt.
Einen Geocache in der Gegend will ich auch noch suchen, finde aber nichts, also ziehe ich weiter.
Nach wenigen Kilometern treffe ich auf einen Tschechen mit nur zwei Packtaschen und einer Flagge seines Landes hinten dran. Er sei erst seit 24 Tagen unterwegs, habe aber schon 4400km hinter sich. Oh man. Es scheint verbreitet zu sein, Kilometerabreißsporturlaube hier hoch zu machen.
Die Unterhaltung dauert nicht allzu lang und ich ziehe wieder weiter.
Fast alle Wohmobil- und Busfahrer grüßen heute freundlich und zeigen mir manchmal euphorisch einen Daumen. Dass es auf dem Rückweg vom Kap stärker dazu kommt, hätte ich nicht erwartet!
Ich bin froh, schon auf dem Hinweg Photos gemacht zu haben, denn auf dem Rückweg ist das Wetter dafür nicht wirklich ideal. Zwar wird es besser, je näher ich Honningsvåg komme, an die Zustände von gestern kommt es aber nicht ran.
Langsam ebbt die Zieleuphorie ab und ich merke, wie die Motivation, vorwärts zu kommen schwindet. Zu groß das Wissen darüber, wie wenig Kilometer und gleichzeitig viele Tage es noch bis zum Abflug sind. Dazu paaren sich Heimweh und Vermissen und das Wissen, dass ich jetzt einige Kilometer lang mangels Alternative dieselbe Strecke vom Hinweg fahren muss. Aber ich will nicht jammern – schön ist es hier trotzdem.
In Honningsvåg fahre ich zu einem Souvenirladen, vor dem ein riesiger Troll steht, um mein kleines Projekt, ein paar von @irgendlink’s letztjährigen Photos nachzustellen, weiterzuführen.
Kurz danach spricht mich jemand an, um zu fragen, von wo ich komme und wie lang ich schon unterwegs sei. Als ich dann erwähne, dass ich langsam auf dem Weg nach Alta bin, bietet er mir an, dort für eine Nacht bei ihm übernachten zu können, da er von dort komme und ab morgen zurück sei. Ich Glückspilz! Ich schreibe mir seine Kontaktdaten auf und werde das Angebot dann vielleicht nutzen, wenn es soweit ist.
Vorm Einkaufen esse ich noch eine Pizza in einem kleinen Restaurant und bin wie immer über die Preise verwundert – vor allem Döner ist in Skandinavien verdammt teuer. In Schweden schreckten mich die 7€ schon durchgehend ab, aber dass hier 13€ verlangt werden, lässt mich schon kurz die Augen aufreißen.
Nach dem Einkauf trotte ich langsam von dannen. Langsamkeit ist überhaupt heute meine Stärke. Selbst für den Einkauf brauchte ich trotz weniger Teile eine halbe Ewigkeit.
Und so rolle ich auch mit teils gerade mal 12-16km/h umher und entscheide mich nach etwas mehr als 50km, es für heute auch schon gut sein zu lassen. Kurz vorm langen Nordkapptunnel ist ein kleiner Rastplatz mit Toiletten, Picknicktischen und Grasflächen und nachdem ich erst kurz überlegt hatte, im sehr sauberen und warmen Behinderten-WC-Raum zu schlafen, lege ich mich dann doch nach draußen, nachdem ich noch mal Akkus an der Steckdose darin geladen habe. Eine windgeschützte Ecke gepaart mit Faulheit sorgt für erneutes Weglassen des Zelts wie schon am Kap. Noch bin ich auf Magerøya und werde morgen früh dann per Tunnel wieder aufs Festland fahren.
Mein Adapter, um die Kamerabilder aufs Handy zu übertragen, scheint wirklich nur noch mein Ziel abgewartet zu haben. Auch der Wackelkontaktgriff, den ich seit den ersten Fehlern vor ein paar Tagen hatte, hilft nur noch kurz und selten. Vielleicht klappt es die Tage noch mal, ansonsten war es das mit hochgeladenen während der Reise.
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