[EV15] Bad Godesberg—St. Goar
Eigentlich wollte ich ja heute bereits um 0800 starten und mit der Bahn um 0818 Richtung Bad Godesberg starten. Aber wie das mit eigentlichs nun mal so ist, werden sie immer unwahrscheinlicher, je mehr Eile im Spiel ist: Erst fällt nach dem Zähneputzen ständig die Zahnpastatube aus dem Schrank, bevor ich ihn wieder schließen kann, dann fallen mir nach und nach immer wieder Dinge ein, die ich mitnehmen möchte, … und schon ist es plötzlich 0910 und ich habe auch die zweite Alternativbahn schon fast verpasst.
Dann geht es eben mit der Bahn um 1018 los, dafür aber ganz gemütlich. Alles kein Problem. Ist ja kein Rennen. Wie der Titel schon sagt, habe ich mir für heute die Strecke von Bad Godesberg entlang des Rheins nach St. Goar vorgenommen, wo ich dann nächtige, um den morgigen Tag mit der Strecke nach Frankfurt am Main fortzusetzen.
Direkt nach Fahrtantritt gen Bahnhof fällt mir schon das merkwürdig andere Fahrverhalten auf. Bisher bin ich das Rad nur kaum bepackt gefahren. Es fährt sich nun fast so wie eines der Zustellräder, die ich bei der Post fahren durfte – nur dass ich (bisher) kein ausgleichendes Gewicht an den Vorderreifen habe. Gleich am ersten Bahnhof – Dinslaken – wurde mir auch direkt klar, warum so viele Radwanderer immer wieder die Mär des leichten und kleinen Gepäcks verbreiten. Ohne Rolltreppe oder Aufzug ist es schon eine Ackerei, das Rad die über zwanzig Stufen hochzutragen.
In die Bahn gestiegen versäumen es Mitfahrende nicht, direkt den ersten WTF-Moment zu erzeugen. Mit einem freundlichen »Tschuldigung? Könnten Sie sich vielleicht woanders hinsetzen, damit ich mein Rad hier abstellen kann?« frage ich Ihre Sitzreihe an und werde mit einem unfreundlichen »Das Rad darf hier gar nicht stehen!« angebellt. Dass es sich hier um das Rad-/Mehrzweckabteil handelt, muss ich vermutlich nicht erwähnen. Der Streifen auf dem Boden, der auf das Freihalten des Durchgangs hinweist (mit durchgestrichenem Rad und Gepäck drauf) reicht der Dame schon aus, mich anzukeifen. Hach. Letztlich setzte sie sich dann doch um, ich kann mein Rad abstellen und mich zum Lesen ein wenig auf einen der Sitze hocken.
Offenbar bin ich heute in eine Erlebnisbahn gestiegen, in der Mitarbeiter und Mitfahrer zu gleichen Teilen an einem Entertainmentprogramm teilnehmen. Vom stark sächselnden Fahrer, der auf das Freihalten der Türen hinweist über drei Piefkes, die wohl zum ersten Mal Bahn fahren und Angst davor haben, von einem Waggon zum anderen zu gehen, weil es dazwischen so laut ist – es ist einiges dabei. Bei den Jungs muss ich mich stark zusammenreißen, auf die Frage »Ist das schlimm, da durchzugehen? Warum ist das so laut?« nicht »Weil da Drachen und kleine Monster sind, die Kinder fressen!« zu antworten.
In Bad Godesberg angekommen zeigt mir der Bahnhof, dass er schon lange kann, was Dinslaken kann. Hier wird offenbar noch gebaut und es wurde eine Brücke hingepflanzt, die mit Zug Stufen hoch und zig Stufen runter das Tragen zu einem großen Spaß macht … Noch eben Laugenstange und Brötchen für unterwegs geholt und dann geht es auch los. Die ersten Meter sind sehr angenehm, die Wegbeschaffenheit ändert sich aber direkt ab der Rheinland-Pfälzischen Grenze und wird hier schlechter. Auch mit Gegenwind habe ich viel zu kämpfen.
Irgendwann – was ein Anfängerfehler! – fällt mir dann auf, dass meine Reifen sich merkwürdig leer anfühlen. Nach Fahrtantritt schob ich das noch auf die Zuladung, irgendwann nach 40km unnötiger Abplackerei finde ich dann aber doch mal einen Radladen, bei dem ich mir eine Pumpe Leihe und die Reifen von knapp über 2 auf 4,5 bzw. 4 bar aufpumpe. Wie das bei der Erstinspektion, von der ich mein Rad gestern erst abgeholt habe, nicht auffallen konnte, ist mir nicht ganz klar – der Druck ist ja eher für Mountainbikes üblich. Andererseits hätte ich das vor Fahrtantritt prüfen sollen, von daher ist es wohl eher meine Schuld.
Nachdem ich in Koblenz fast an einer Ampel umkippe, nehme ich mir nach einigen kürzeren Auszeiten endlich mal eine längere. Mitgenommene Bananen und Äpfel sowie die Brötchen vom Anfang sind längst aufgebraucht, also setze ich mich hier an den Rhein, hole den Kocher raus und mache mir gestern gekaufte Chinanudeln fertig – das sollte hoffentlich fürs erste reichen. Auf dem weiteren Weg mache ich noch 1-2 Mal halt für ein alkoholfreies Radler und um meine Trinkflaschen aufzufüllen, merke aber immer mehr, dass irgendwas mit mir nicht stimmt. Kopf- und Kieferschmerzen sowie Schwindelgefühl lassen mich an einen Hitzschlag oder Sonnenstich glauben.
Die letzten Kilometer von Boppard nach St. Goar an der Loreley sind dann auch nur noch Quälerei. Ich lege eine zehnminütige Pause auf einer Bank ein und schleppe mich dann die letzten elf Kilometer zum Ziel – dem Campingplatz Loreleyblick direkt gegenüber selbiger. Die Anmeldung hat schon geschlossen, also suche ich mir einfach einen x-beliebigen freien Rasenplatz, auf dem ich mein Zelt aufschlage. Die eben beschriebenen Symptome sind inzwischen immer schlimmer geworden und ich muss mich mehrfach beim Zeltaufbau kurz hinsetzen, um nicht umzukippen. Eine lange Dusche später, bei der ich einen Großteil der Zeit nur auf dem Boden hockte, um nicht wegzuklappen, habe ich erst das Gefühl, dass es nun etwas besser sei, täuschte mich damit aber. Nachdem die Nahrungsaufnahme in Anbetracht der gefahrenen Strecke eher dürftig war, will ich noch was essen, werde aber von geschlossenen Restaurants in unmittelbarer Nähe enttäuscht und aufs Rad will ich nicht mehr. Also versuche ich es so, während die Kopfschmerzen immer schlimmer werden. Dazu gibt es dann noch zwei direkt aufeinander folgende Krämpfe in beiden Füßen, die mich zusammengekauert meinen Fuß umklammernd und massierend auf dem Zeltboden liegen lassen.
Die Nacht gibt dann noch mal alles und so wache ich mit gerade einmal anderthalb Stunden Schlaf um halb sieben wieder auf. Der Großteil davor bestand aus Rumliegen mit Kopfschmerzen und mir zu wünschen, Zuhause zu sein. Eben habe ich mich dann erstmal mit einem ausgedehnten Frühstück im Café/Restaurant Loreleyblick gesättigt und danach geht es mir auch schon etwas besser. Die Kopfschmerzen und das Schwindelgefühl sind zwar immer noch da, aber etwas weniger geworden.
Mein ursprünglicher Plan war es, heute bis nach Frankfurt durchzufahren. Da die Temperaturen heute allerdings ähnlich sein sollen wie gestern – mein Tacho zeigte nie unter 35°C, in Spitzen sogar bis 44°C an –, werde ich es langsam angehen lassen und notfalls per Bahn weiterfahren und mir den Weg, der wohl derselbe werden wird, für den Rückweg Anfang nächster Woche aufsparen.
Schade, dass die schönen Eindrücke durch die körperlichen Nervigkeiten etwas gemildert wurden, eine schöne Fahrt entlang des Mittelrheins von Bad Godesberg bis St. Goar hatte ich aber allemal. Ich konnte schon einige sehr hübsche Fachwerkhäuser, Burgen und faszinierend steile Weinplantagen sehen. Jetzt bleibe ich noch etwas im Zelt liegen, packe gleich langsam meine Taschen wieder zusammen und schaue, was der heutige Tag für mich bereithält.
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