Tag 16 – Gullvik—Hörnefors

Tag 16 – Gullvik—Hörnefors

So wie ich eingeschlafen bin, wurde ich auch wieder geweckt: Kreischende Möwen, leicht plätscherndes Wasser. Die graue Suppe des gestrigen Tages ist blauem Himmel mit vereinzelten Wolken gewichen und ich nehme einige Photos des Vortages noch mal auf – bei gutem Wetter sieht es hier noch dreimal toller aus! Meine Befürchtung, dass mein Schlafplatz nur grenzwertig legal und mit Jedermannsrecht zu vereinbaren ist, blieb unbegründet. Oder anders gesagt: Es kam halt keiner.

So ist es doch deutlich schöner als mit der grauen Brühe am Vorabend. #AnsKap #Sweden #Sverige

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Ich lege Isomatte und Schlafsack zum Trocknen raus auf die Steine und gehe dann rüber auf einen nahe gelegenen Steg, der sich direkt neben dem Einlass für Boote befindet. Die Füße knapp über dem Wasser baumelnd esse ich nach schneller Zubereitung Hafergrütze mit jeder Menge Honig und etwas Erdbeermarmelade sowie zwei Brötchen. Ich muss dringend darauf achten, nach meiner Heimkehr in wenigen Wochen die Nahrungsaufnahme deutlich zurückzufahren!

Frühstück am Meer #AnsKap #Sweden #Sverige #Trangia

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Der Morgen ist herrlich und ich bin bester Laune. Auf einem größeren Steinbrocken im Wasser, den ich durch etwas Rumgehüpfe trocken erreiche, schreibe ich den Blogpost über den gestrigen Tag zu Ende und breche auf, nachdem ich meine verstreuten Sachen eingesammelt und verpackt habe. Heute nehme ich einen etwas anderen Weg von der Spitze zu meiner Ursprungsroute, komme aber dennoch wieder auf fast 15km. Naja, das war es wert!

Blick vom Zelt aus bei sonnigem Wetter #AnsKap #sverige #sweden

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Schon einige Kilometer, bevor ich die Fabrik/Kraftwerk/wasauchimmer erreiche, steigt mir wieder der üble Geruch von gestern in die Nase. Beim Passieren achte ich etwas genauer auf etwaige Aufschriften, die erklären könnten, was da passiert, kann aber keine finden. Nun denn.

Skisprungschanze? #anskap #sverige #sweden

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Nach etwa 8km auf meiner Route halte ich in Örnsköldsvik. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten sehe ich wieder einmal ein Polizeiauto, vermute aber, dass es danach wieder ähnlich lang bis zum nächsten dauern wird. In der dem Wasser zugerichteten Stadt finden sich einige etwas moderner gestaltete Gebäude, nach ersten Photos ziehen aber Café-Symbole auf meiner Karte meine Aufmerksamkeit an sich. Gestern Abend wünschte ich mir sehnlichst einen Kakao mit Sahne, Marshmallows und Eierlikör sowie Waffeln mit Eis, heißen Kirschen und Sahne, weit und breit waren aber keinerlei Cafés zu finden. Überhaupt sind diese sehr spärlich gesät, zumindest außerhalb großer Städte, und dann auch noch oft zu. Meine letzte genutzte Waffelgelegenheit liegt bereits zig Kilometer zurück.

In einem Café angekommen stelle ich erfreut fest, dass heiße Schokolade mit Sahne und Marshmallows auf der Karte steht und bestelle mir einen, zusammen mit einer großen Zimtschnecke. Das Café ist angenehm warm gestaltet, die Sitzgelegenheiten sind gemütlich und aus den Lautsprechern kommen Amos Lee, John Mayer und Tracy Chapman. Perfekt!

Nach etwas Zeit der Ruhe kommt ein Schweizer an meinen Tisch und fragt, ob ich deutsch spreche und das Rad draußen meines sei. Wir kommen ins Gespräch. Er ist Ende Sechzig und seit etwa zwei Monaten von zuhause in Graubünden aus unterwegs, handhabt es aber eher mit Kondition statt Carbon, obwohl er ein teures Velo hat. Während des Gesprächs kommen die üblichen Fragen, deren Beantwortung beinahe einem Quartett gleicht. Tageskilometer. Bisherige Kilometer. Verbleibende Kilometer. Durchschnittliche Geschwindigkeit. Anscheinend die Werte der Reiseradler, deren Pendant in der Autowelt Beschleunigung und PS-Zahl sind. Für mich nichts, aber ich beantworte die Fragen dennoch gern.

Es ist mir beinahe etwas peinlich, aber er ist jetzt bereits die zweite Person, die ich auf dem Weg treffe und mit der ich etwas Zeit verbringe, ohne den Namen zu erfahren. Heiner beschwert sich über die Eintönigkeit und kann Wälder nicht mehr sehen, was ich bei seinem Tagesschnitt von 40km auch voll und ganz verstecken kann. Bei den Entfernungen zwischen Orten hier oben bleibt da nicht viel Abwechslung.

Mein Getränk geleert und mit Ehrfurcht ob der Leistung in seinem Alter erfüllt verabschieden wir uns, treffen uns aber gleich an der nächsten Ampel kurz wieder. Er nimmt die E4, ich die Wege drumrum, solang sie nicht zu viele zusätzliche Kilometer bedeuten.

Schöne Wolken! #AnsKap #Sverige #sweden

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Doch heute tun sie das. Jedenfalls in Form von Kilometern durchs Nichts. Einige Zeit auf dem Weg kriege ich Hunger und stille ihn wenigstens ein wenig mit der letzten Dosensuppe in meiner Tasche, die gewonnene Energie trägt mich aber nicht allzu weit und ich fahre etwas hungrig weiter durch die Gegend mit Haferflocken als letzten Ausweg in der Tasche und ein wenig Erdnussbutter, die ich immerhin zwischendurch löffeln kann. Auf der Karte sehe ich in 15km Entfernung eine Tankstelle, die auf meinem Weg liegt und freue mich, dort wenigstens irgendwas süßes oder einen Hot Dog kaufen zu können. Angekommen stellt sich dann dummerweise heraus, dass es sich um eine Selbstbedienungstankstelle ohne irgendeine Form von Kassenhäuschen oder gar Kiosk handelt … also weiter.

Briefkästen werden hier teilweise sehr kreativ angebracht. #anskap #sverige #sweden #postbox

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Mitten in der Einöde auf dem Weg zur Tankstelle sehe ich erstmals bewusst etwas, das ein Geflüchtetenheim gewesen sein könnte. Zumindest weisen das Aussehen der Menschen und ihrer Kleidung sowie in arabischer Schrift geschriebene Schilder an Teichen und Elektrozäunen darauf hin. Die Ansicht stimmt mich nachdenklich. Hier im Nichts, der nächste Supermarkt 30km entfernt, das nächste größere Dorf ebenfalls mindestens 10, werden Menschen in einem ehemaligen Hotel beinahe ausgesetzt. Ich frage mich, ob Integration so funktionieren kann und grüble noch eine ganze Weile vor mich hin.

Gegen 16.40 komme ich in einem Ort an, der auf der Karte einen ICA-Supermarkt eingezeichnet hat. Aber es ist Sonntag und der Laden hat seit 40 Minuten geschlossen, also bekomme ich auch hier nichts. Immer noch hungrig wanke ich in ein nebenan stehendes Restaurant mit – oh Wunder – Pizza, Pasta und Kebab im Angebot. So langsam bekomme ich das Gefühl, dass diese Art von Restaurant in kleineren Städten und Dörfern die einzig vorhandene ist. Ich bestelle Spaghetti Carbonara und bin schon beim Essen froh, dass der ICA geschlossen hatte und ich nicht über Dosenfutter hängen muss. Freundlicherweise darf ich hier auch mein Akkupack, das meine Geräte über Nacht für den nächsten Tag auf 100% bringt, aufladen.

Ein kleiner Hafen #AnsKap #sverige #sweden

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Gesättigt für den Moment breche ich auf und rolle noch so einige weitgehend umspannende Kilometer vor mich hin. Je näher der Sonnenuntergang kommt, desto kälter wird es, also versuche ich, mir frühzeitig einen Platz zum Zeltaufschlagen zu suchen, finde aber erst nach einiger Zeit etwas. Am Rande einer Landstraße befindet sich ein breiter Weg, der nach rechts abzweigt und dann in einem heuig-grasigen und etwas rechteckigen Platz endet. Dahinter sind Tannen, dann noch etwas Gras, dann Marschland. Diesmal mache ich nicht den Fehler, mitten reinzustapfen und mit nassen Füßen weiter zu müssen, sondern baue das Zelt ein wenig geschützt hinter Tannen auf, durch die Farbe von Zelt und Radpacktaschen ist alles von der Straße aus aber dennoch erkennbar.

Gestriger Schlafplatz #AnsKap #Sverige #Sweden #bicycletouring #radwandern #Tent #vaude #bicycle

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Müde vom Tag merke ich nicht mal, dass dieser Platz keinen Handyempfang zulässt, also kann ich keine Bilder oder diesen Bericht hier hochladen und schlafe bald ein. Radfahren den ganzen Tag über gepaart mit all der frischen Luft ist anstrengend.

3 Replies to “Tag 16 – Gullvik—Hörnefors”

  1. Guten Morgen Patrick,

    auch für uns ist es immer wieder sehr spannend, deinen Blog zu verfolgen. Wir schauen täglich rein, ob du wieder etwas geschrieben hast. Deine Texte in Verbindung mit den Bildern haben schon etwas. Wir freuen uns auf die nächsten Texte und hoffen, dass sich deine Fahrt weiterhin so gut gestaltet und du noch viele besondere Eindrücke mitnehmen kannst. Beim Lesen deiner Texte bekommen wir schon richtig Lust darauf, das Land kennen zu lernen. Pass auf dich auf.

  2. Lieber Patty,

    mit Sonne sieht es viel besser aus.
    Der kleine Hafen ist schon pitoresk.
    Ich freue mich auf weitere Fotos.
    Dein Blog ist spannender als ein Krimi und ich schaue mehrfach am Tag nach, in der Hoffnung, dass es weitergeht.

    Vielen Dank dafür.

    Tom

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