Tag 11 – Orsa—Edsbyn

Tag 11 – Orsa—Edsbyn

Das Zimmer ist so gelegen, dass die Sonne mir schon gegen kurz vor sechs so sehr ins Gesicht strahlt, dass ich unweigerlich aufwache. Vorhang zuziehen, weiterschlafen. Ich habe am Vorabend schon geduscht und es gibt kein Zelt auf- oder abzubauen. Kein Grund also, so früh aufzuwachen. Um halb acht geht es dann nicht mehr anders und es ist Zeit, aufzustehen. Langsam wird es auch wirklich warm, denn ich hatte aus Angst vor Mücken das Fenster die ganze Nacht über geschlossen.

Zum ersten Mal ist der erste feste Gedanke einer des Scheiternwollens. Der Weg bisher war wunderschön und ich kann viele tolle Eindrücke mitnehmen, aber einige Menschen aus der Heimat fehlen mir. Dass ich eine halbwegs stetige Internetverbindung habe, verbessert es immerhin weitgehend, denn ohne hätte ich die Reise wohl nicht alleine antreten wollen, aber dennoch fehlt da natürlich etwas. @irgendlink hatte gestern vorgeschlagen, doch einfach hier zu bleiben, und für kurze Zeit ziehe ich das ernsthaft in Erwägung. Einfach noch ein paar Tage bleiben und von hier aus die Heimreise antreten. Ich könnte in wenigen Tagen zuhause sein und würde von liebenden Armen eingeschlossen werden. Hättewärekönnte. Aber das kann ich doch jetzt auch nicht einfach machen … oder?

Letztlich fahre ich dann doch los und komme gut voran. Ein Outdoorshop auf dem Weg, bei dem ich einen anderen Deckel für eine meiner Trinkflaschen kaufen möchte, hat leider nichts passendes im Angebot, also ziehe ich von dannen und folge dem Turistvägen, der vorbei an Skattungbyn bis kurz vor Furudal führt. Von dort oben sehe ich sich weit erstreckende Wälder und kleinere wie etwas größere Berge. Ein Meer von Grün.

https://www.instagram.com/p/BFPDH-ql3Pt/

Auf dem weiteren Weg zeigt sich aber auch, dass auch die Schweden dieses Meer sehen. Die Holzindustrie boomt und überall sehe ich gestapelte Bäume und übergebliebene Stämme auf dem Boden, teilweise auch Fäller bei der Arbeit. Holz als scheinbar unendliches Gut. Eine Ansicht, die sich auch in den Häusern zeigt, die auch bei Neubauten hauptsächlich noch aus Holz bestehen und wie Christoph mir sagte werde wohl auch kaum Papier recycelt, sondern einfach verbrannt.

Während der Fahrt sinniere ich über mein bisheriges Vorgehen und ärgere mich über die Deadline am Ende meiner Reise, die es einzuhalten gilt. Viel zu wenig Zeit verbringe ich an Orten, die mich glücklich machen und ich schreibe sie stattdessen auf eine imaginäre Liste für einen hypothetischen Wohnmobiltrip eines Tages. Heute ist Tag des Nachdenkens mit eher negativem Einschlag.

Die Umgebung auf meiner Fahrt tut auch nicht allzu viel, um mich davon abzulenken. Ein Großteil meiner Strecke besteht aus unspektakulärer Fahrt auf einer großen Straße durch links und rechts von Wald gesäumter Fläche. Gelegentlich ein See oder ein Dorf für etwas Abwechslung, aber es unterscheidet diese Region kaum etwas von dem, was ich bisher sah. Als noch enormer Gegenwind dazukommt, der meine Geschwindigkeit auf soeben zweistellige Werte drückt, ärgere ich mich fast, nicht tatsächlich am Siljan geblieben zu sein.

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Mittagspause mache ich mitten im Wald an einem Schießstand, wo ich mir Lakritz, Chips und Chinanudeln reinpfeife und fasziniert den Boden betrachte, der beim ersten schweifenden Blick ruhig wirkt, sich aber schon nach kurzer Zeit als ein riesiges Gewusel, hauptsächlich von Ameisen, offenbart. Hier sind die Kleinen deutlich größer als ich sie aus heimischen Wäldern gewohnt bin.

Am Ende des Tages habe ich 96km auf dem Tacho stehen, aber das Gefühl, kaum etwas von Belang von diesem Tag mitgenommen zu haben. Etwas unzufrieden baue ich mein Zelt am Rande eines Felds auf, das direkt vor einem aktuell still stehenden Skilift mit großflächigem (Kunst?)-Schnee verläuft und begebe mich schnell hinein. Das Wetter ist enorm umgeschwungen und schon jetzt bekomme ich die bald wohl herrschenden Temperaturen zu spüren. Im Zelt sitzend fängt es dann leicht an zu regnen und stärkere Windböen drücken die linke Zeltseite nach innen.

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Ich muss mal schauen, wie ich mit dem Gemisch aus schlechterem Wetter, stärker werdendem Gefühl von Einsamkeit und steigender Einöde mit streckenweise sehr gleich aussehenden Abschnitten zurechtkommen. Ab der hohen Küste, einer Region im Nordosten Schwedens, dürfte es wohl besser werden.

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Ich merke, dass ich in einigen Aspekten sehr blauäugig an das ganze Vorhaben rangegangen bin. Was die Gepäckplanung anbetrifft war alles weitgehend gut, aber mir war nicht klar, wie nervenaufreibend diese Wiederholung und Einöde schon auf den ersten 1000 Kilometern sein würden.

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3 Replies to “Tag 11 – Orsa—Edsbyn”

  1. Hallo Patty: Lese gerade Deinen Bericht , das solche Tage kommen Du Heimweh hast und gegen den Wind fahren mußt ist normal . Ich war früher auch mit dem Truck schon mal über eine Woche unterwegs , da gings mir auch so wie Dir jetzt. Kopf hoch Junge das wird schon . Erfreue Dich an den schönen Tagen und lass den Kopf nicht hängen , pass gut auf Dich auf . Wir sind stolz auf Dich Liebe Grüße Oma und Opa.

  2. Ich schließe mich Thomas an. Deine Reise in Blog und Twitter und Instagram miterleben zu dürfen ist ein Fest. Danke dafür.
    Den Frust, alles hinzuschmeissen, kenne ich sehr gut. Erstaunlicherweise hilft oft: ja, ich darf das jederzeit in Kombination mit dem Funken Glaube, dass auch wieder bessere Zeiten und Laune kommt.

  3. Nur Mut Pattafeufeu!

    Du willst nach Osten, da kommt die Küste, neben den schönen Seen eine andere sehr reizvolle Seite Schwedens.

    Du hast schon so viel geleistet, ich und sicher auch so manch anderer sind sehr beeindruckt von dem was Du schon hinter Dich gebracht hast.

    Ich bin an der hohen Küste gewesen und wenn Du dort wieder gutes Wetter hast, wer weiss, vielleicht bleibst Du dort kleben….

    Was ich sagen will, lass den Kopf nicht hängen, meiner Meinung nach hast Du schon gewonnen.
    Wenn es Dir an einem Ort gefällt, bleibe doch dort und genieß Deinen Urlaub.
    Bei Dir ist der Weg das Ziel und wenn Du das ändern willst, ist das ok, ganz besonders an vielen Orten in Schweden.
    Tu einfach was Dir gefällt und gut tut. Du hast es Dir verdient.

    Ich freue mich auf Deine nächsten Einträge.

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