Tag 23 – Pello—Äkäsjokisuu

Tag 23 – Pello—Äkäsjokisuu

Es ist fünf Uhr nachts und es regnet. Mein Schlaf ist wohl leichter geworden, denn es regnet nicht so stark, dass mich das früher aufgeweckt hätte. Oder es ist die Angst, hier Ärger zu bekommen, denn der Campingplatz scheint wirklich richtig geschlossen zu sein – kein Strom, kein Licht, das Wasser ist abgestellt, Werkzeuge und Farbe liegen vor den sanitären Einrichtungen. Vielleicht lasse ich das mit dem Anruf besser sein und verschwinde einfach schnellstmöglich. Aber erstmal schlafe ich weiter …

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Um acht Uhr Ortszeit – Finnland hat gegenüber Schweden (und Deutschland) gerade eine Zeitverscheibung um +1h – wache ich dann endgültig auf. Es fasziniert mich, dass ich im Zelt erst ein einziges Mal kurz Rückenschmerzen hatte und das bereits zweieinhalb Wochen her ist. Offenbar war die Wahl meiner Isomatte eine richtige, neige ich doch sonst öfter mal zu leichtem Ziehen im Rücken.

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Es regnet noch immer. Als ich gestern morgen in Överkalix auf den Wetterbericht sah, waren für die nächsten Tage 10-20°C bei bewölktem bis klarem Himmel und 0% Regenwahrscheinlichkeit angegeben. Das hat sich leider mit Grenzübertritt etwas geändert. Zwar bleibt die Temperaturaussicht ähnlich, doch gibt es hier mehr Regenaussichten. Heute soll es noch bis 13 Uhr so weitergehen. Als ich kurz mal aus dem Zelt gehe, stelle ich allerdings fest, dass was auf dem sehr gespannten Zeltdach so laut klang, tatsächlich bloß ein paar kleine Tropfen waren. Also bleibe ich doch nicht bis zum Ende des Regens hier, wie ich kurz einmal überlegt hatte. Wäre der Platz nicht so heikel, wäre es was anderes und ich hätte lesen können, so komme ich aber lieber etwas schneller von hier weg.

Nach dem Zeltabbau, Waschen und Umziehen kommt genau beim Einpacken des letzten Teils jemand mit einem Wagen auf den Campingplatz gefahren und ich ahne schlimmstes. Ein Finne sagt mir etwas grimmig in gebrochenem Englisch, dass der Campingplatz geschlossen habe, ich erwidere bloß, dass ich ohnehin gerade gehen wollte und er wartet noch so lange, bis ich den Platz dann tatsächlich verlassen habe. Das war knapp! Für mein eigenes Seelenheil sollte ich in Zukunft vielleicht nicht mehr auf geschlossenen Campingplätzen einbrechen …

Bevor ich die Stadt verlasse, möchte ich noch ein bisschen was einkaufen, es bleibt aber bei Produkten, die ich erkennen kann. Ein Berliner mit Donutzuckerbeschichtung, der schon in Schweden lieb gewonnene Trinkjoghurt, eine Packung Ramen-Nudeln und auf geht es. Meine Wasserflaschen fülle ich an einer Tankstelle auf.

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Was folgt sind Kilometer über die Straße, die mal als E8, mal als 21, mal als beides bezeichnet ist. Es stellt sich schnell heraus, dass es auch hier trotz ein wenig dichterer Besiedlung oft schwierig ist, etwas einzukaufen oder zu essen. Viele Ladengeschäfte sehen runtergekommen aus und sind geschlossen, verblichene Farben allerorten. Ein tristes Bild, das endzeitliche Stimmung in mir auslöst.

Nachdem ich auf dem Weg nach etwas Geklettert einen Geocache finden konnte, möchte ich etwas Schokolade essen, stelle aber fest, dass sie durch die direkt auf die Hintertaschen strahlende Sonne sehr flüssig geworden ist, also esse ich in einem Akt, der für Außenstehende nur als würdelos beschrieben werden kann, die Schokolade von ihrer Verpackung weg.

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Seen und fließende Gewässer zeigen sich heute wieder in ihrer schönsten Form: Als riesige Spiegel. Überhaupt ist das, was ich bisher von Finnland sah, Schweden recht ähnlich. Okay, ich fahre direkt am Grenzfluss entlang und mit genügend Wurfkraft könnte ich Schweden per Stein erreichen, aber dennoch. Neben der oben beschriebenen Tristesse sind außerdem mehr Häuser aus Stein gebaut, die roten Schwedenhäuschen finden sich aber auch hier.

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Eine Art Mittagessen und nachgeholtes Frühstück, denn bis auf den Joghurt und Berliner hatte ich auf 45km bislang nichts, nehme ich an einem Fluss ein. Die anfangs so idyllisch aussehende Stelle, die ich mir ausgesucht hatte, entpuppt sich als Fischendlager. Überall liegen Gräten, Schuppenkleider und Köpfe. Also gehe ich lieber einige Meter weiter, um meine Gourmetkochkarriere weiter auszubauen und mir Ramen-Nudeln mit orientalischer Gewürzmischung aufzukochen.

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Gesättigt geht es weiter und ich treffe beim Fotografieren eines Friedhofeingangs auf einen kleinen Stöpsel, der auf einem ebenso kleinen Quad an mir vorbeidüst. Früh übt sich! Und er passt sehr gut zu den Motocross-Kiddies aus Süd- und Mittelschweden.

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Kurz bevor ich in Kolari ankomme, treffe ich auf einen Reiseradler. Er kommt aus der Richtung, in die ich fahren möchte und wir fangen ein Gespräch an. Nach einigen Minuten des Gesprächs in englischer Sprache kommt es dann doch mal zur Frage, wo wir eigentlich herkommen: Frankfurt—Ruhrpott! Dann können wir ja auch auf Deutsch weitermachen, was? Daniels Aussage nach – oh ja, ich habe endlich mal nach einem Namen gefragt und ihn mir gemerkt! – sei mein Englisch wohl (inzwischen) so gut, dass er gar nicht auf die Idee kam, mich in Deutschland einzuordnen. Ein angenehmes Lob und eine ulkige Begegnung!
Er ist vor etwa einer Woche in Kirkenes im Nordosten Norwegens losgefahren und gerade auf dem Weg nach Helsinki. Wir tauschen uns über Karten, die Schönheit der Landschaft, die Ruhe und Stressfreiheit und als Gegenpol auch direkt über unsere Verbindung zum Internet aus, echauffieren uns über unnötige Sicherheitsparanoia an Flughafenkontrollen und reden über unsere Wege. Eine halbe Stunde zieht ins Land, bis wir wieder getrennte Wege gehen. Falls du das liest: Gute Reise!

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Auch Kolari präsentiert sich zunächst wieder mit Endzeitcharakter und ich finde mehrere Restaurants und Läden mit verblichenen Anstrichen und eingeworfenen Fenstern vor. So recht wohnlich will sich das hier nicht anfühlen. Kurz vor Stadtende treffe ich dann aber doch noch auf ein kleines Restaurant, das zu meinem Glück auch eine ins Englische übersetzte Speisekarte bereithält. Es gibt Salat mit Mayonnaise-Senf-basiertem Dressing, dazu sehr platt und rund gewälztes Hackfleisch zwischen Sesambrot. Kurzum: ein Burger. Dazu Pommes und eine Spezi und meine Energiezufuhr ist gerettet.

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Auf meinem weiteren Weg treffe ich zunächst auf drei Rentiere auf einer Wiese, kurz darauf aber sogar direkt auf eines am Straßenrand, das sich erst aus dem Staub macht, als ich nur noch eine Fahrradlänge Abstand habe. Die flauschigen Geweihe und die insgesamt knuffige Erscheinung haben schon etwas für sich! Mit heute habe ich nun also elf Rentiere, aber null Elche gesehen. Dafür überdimensionierte Feldhasen, die stehend mit ihren Löffelspitzen meine Knie berühren könnten. So riesige Hasen bin ich aus meiner Kleinstadt nicht gewohnt!

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Der Weg schlängelt sich weiter hoch und runter wie zuvor, dafür aber immerzu auf sehr gutem Straßenbelag. Vor einer Abfahrt übermannt mich bei Anblick der Weite das Heimweh. Die Wälder in der Ferne erinnern mich an die Sicht von der Halde Haniel aus auf Ruhrgebiet und Niederrhein. Nur eben ohne Schlote, Zollverein, Arena, Gasometer. Und vielleicht ist auch nicht alles Hinkende ein Vergleich.
Kurz darauf, als hätten die Wolken meinen Anfall von Sentimentalität gespürt, fallen kleine wenige Tropfen wunderbar reichenden Sommerregens auf mich und bescheren mir im Osten sogar einen Regenbogen. Auf der Karte sehe ich eine eingezeichnete Bank und hoffe auf ein gutes Nachtlagerplätzchen … und finde es. Wobei gut noch untertrieben ist. Die Aussicht und mein Platz fürs Zelt sind toll und es gibt eine überdachte Feuerstelle, die ich für ein Lagerfeuer nutze, um mich erst aufzuwärmen und dann erst Bier, dann Cider zu genießen und diese Zeilen zu schreiben. Gerade will ich an keinem anderen Ort sein und die Welt ist wunderbar!

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Beim Fertigstellen des Posts ist es Mitternacht nach Ortszeit und noch so hell:
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