Tag 22 – Svartbyn Överkalix (SE)—Pello (FI)

Tag 22 – Svartbyn Överkalix (SE)—Pello (FI)

Anhand der letzten Tagen merke ich, dass sich langsam die #AnsKap-Zielprokrastination einstellt. Wo ich anfangs noch um sechs Uhr aufwachte und vor neun Uhr weg war, lasse ich mir inzwischen auch gern mal bis halb acht oder noch länger Zeit, um rauszukommen. Aber wozu auch eilen. Ich bin meinem ursprünglichen Zeitplan, der nie so recht festgelegt wurde, sondern mehr als Mindestkilometerzahl pro Tag in meinem Hinterkopf festhing, weit voraus.

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Mein erster bewusster Blick nimmt Bewegungen im Inneren der Zeltaußenhaut war, und auch entlang der Innenhaut krabbelt außen einiges. Ameisen. Während ich noch im Zelt liege, schnipse ich einzelne immer wieder weg, das stellt sich aber als Sisyphusarbeit heraus. Also packe ich erstmal alles, das im Zelt liegt ein – seit Mitte erster Woche bin ich dazu übergegangen, die Taschen von Schlafsack und Isomatte mit ins Zelt zu nehmen, um fürs Einpacken nicht erst noch raus gehen zu müssen. Bei Regen sicherlich sinnvoll, wobei es dazu bislang nicht kam. Außerhalb des Zelts fällt mir dann schnell auf, dass auf dem Boden alles noch mehr wuselt und wimmelt als bisher beim Zelten in den Wäldern und der Grund offenbart sich kurz darauf: Nicht einmal fünf Meter entfernt befindet sich ein etwa kniehoch aufgetürmter Ameisenhaufen, den zu beobachten durchaus spannend ist. Tausende winzige Tierchen, die emsig vor sich hin arbeiten und allerhand Dinge tragen.

Während ich frühstücke, grüble ich beim Blick auf die Karte herum, ob ich meine Route ändern sollte. Die etwas über 300km bis zur finnischen Grenze bestehend – so sieht es jedenfalls auf der Karte aus – hauptsächlich aus Nichts und ohne Umwege von teils 30-50km sind Einkaufsmöglichkeiten, zu denen ich hier auch mal Tankstellen zähle, mindestens 60, eher 80km auseinander liegend. An sich habe ich noch genügend Essen für 2-3 Tage und ich könnte in Överkalix auch noch etwas nachkaufen, wohl ist mir bei dem Gedanken aber nicht.

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Nach einem kurzen Einkauf beim ICA im Ort, der mich um 400g Schokolade, Trinkjoghurt, Kakao, Ravioli und Zimtschneckenzopf reicher macht, fasse ich den Entschluss: Ich kürze ab und fahre heute schon nach Finnland. Dafür geht es erstmal eine ganze Weile lang gen Osten, wobei ich stellenweise auch immer mal wieder ein ganzes Stück Richtung Süden fahre, weil sich die Straße eben so durchs Land schlängelt. Vorher nutze ich aber noch die Gelegenheit der Stunde, um einen Systembolaget zu besuchen. Im Grunde ein Alkoholladen, denn alkoholische Getränke über 3,5 Volumenprozent werden in Schweden nur in diesen speziellen Läden verkauft. Erst wollte ich mir Rotwein holen, denn ich spielte schon längere Zeit mit dem Gedanken, es mir mit Wein am See gemütlich zu machen, dann erschien mir das allein aus der Flasche trinken aber doch zu komisch und ich behalte es mir für andere Momente vor. Letztlich nehme ich mir Waldbär-Cider und ein India Pale Ale mit und werde zum ersten Mal in meinem Leben beim Alkoholkauf und zum zweiten Mal auf dieser Reise nach meinem Ausweis gefragt. Die Getränke verstaue ich – vielleicht etwas passend – in meiner „Notfalltasche“, also der rechten Fronttasche, in der sich auch Regensachen, Werkzeug und Erste-Hilfe-Set befinden.

Bevor ich weiterfahre, suche ich noch nach einer Möglichkeit, meine Wasserflaschen zu füllen. Tankstelle: geschlossen. Campingplatz: geschlossen. Polizei: geschlossen. Vor einer Asylunterkunft in einem Hotel stehend denke ich mir, dass mir hier sicher geholfen werden kann. Zu meiner Verwunderung spricht niemand der HelferInnen/MitarbeiterInnen Englisch, sodass es auf Flasche hochzeigen und Vatten? sagen hinausläuft.

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Unterwegs koche ich mir eine Tomatensuppe auf. Das Glas hatte ich schon vor längerer Zeit gekauft, aber erst nach dem Kauf bemerkt, dass ich neben Wasser auch Milch dazu kippen muss. Wie ich letztens schon mal schrieb, ist Milch allerdings Besuchen bei mich beherbergenden Gastgebern vorbehalten, da ich sie schlecht kühlen und noch schlechter transportieren kann. Geschmack erstmal ignorierend kippe ich 2dl der zuvor gekauften Schokomilch mit in den Kochtopf, dazu allerhand Gewürze und letztlich ist es sogar recht erträglich und die 0,9l- Portion, die für 3-4 Personen reiche, verschwindet in meinem Magen. Ich hätte auch Milch beim letzten Einkauf mitnehmen können, allerdings konnte ich im Sortiment nur recht dünnwandig und nicht wiederverschließbare Kartons finden.

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Nach einem langen Funkloch erreiche ich 56km nach Tagesstart den an der schwedisch-finnischen Ostgrenze gelegenen Ort Övertorneå, in dessen ICA ich meine letzten noch in Bargeldform vorhandenen schwedischen Kronen ausgebe. Da ich beinahe ausschließlich mit Kreditkarte bezahle, sind von der Abholung am Siljansee vor einigen Tagen noch 49SEK übrig, die ich bis auf die letzte Krone exakt ausgebe. Pringles, Salzlakritzschokolade, Cherry-Coke.

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Danach folgt ein Grenzübertritt. Dank zum Glück noch irgendwie intaktem EU-Raum besteht die Grenze hier völlig unspektakulär in Form eines Schilds auf einer Brücke und einem Suomi – Finland Schild auf der anderen Flussseite. Keine Kontrolle, keine Barrikaden oder Zäune, nichts. Super! Einen Geocache direkt auf der Grenze konnte ich leider nicht finden, also geht es weiter. Schon nach einem Kilometer weist ein erstes Werbeschild auf eine Sauna hin und ich fühle mich sogleich in einem ersten Vorurteil bestätigt.

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Mit Grenzüberschreitung werden leider meine Möglichkeiten, Schilder und Speisekarten beim Lesen wenigstens halbwegs zu verstehen auf Null heruntergefahren und ich bin dankbar über jedes Piktogramm und jede englische Übersetzung; die in kyrillischer Schrift auf einigen Schildern angebrachten Übersetzungen bringen mich leider ebenso wenig weiter wie das sehr vokalreiche Kauderwelsch, das sich Finnisch nennt.

Ein Geruch von Fisch, Dünger und Kamin liegt in der Luft und ein Schild weist auf Finnisch, Schwedisch, Deutsch, Englisch und vermutlich Russisch auf den Polarkreis hin, der in 10km zu finden sei. Ich fasse den Entschluss, dort noch hin zu fahren und dann zeitnah ein Zeltlager zu suchen. Die Zeit bis dahin vergeht schnell und ich mache dort angekommen eine längere Pause. Hier besteht der Polarkreis aus einem Hinweisschild, einer langen Linie auf einem Parkplatz und einem Restaurant.

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Ich trinke den Cider, stopfe die gesamte Pringlesdose und noch 100g Schokolade in mich rein. Vollwertiges Abendessen – ganz bestimmt. Als ich gerade einen Geocache in der Nähe suchen möchte, kommen vier SUVs voll mit Menschen an. Allesamt lärmend. Während der gesamten halben Stunde, die sie sich hier aufhalten und teils sehr alberne Photos und Selfies machen, laufen die Motoren und in mir brodelt es wieder. Viel zu oft habe ich dieses unnötige Verhalten entlang der letzten hunderten Kilometer feststellen müssen. Warum?

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Irgendwann sind sie aber auch weg und ich kann in Ruhe suchen und schnell fündig werden. Kilometer 84 für den Tag. Ich rolle los, um bald einen Schlafplatz zu finden und sehe entlang des Weges auch einige, bin aber noch zu voll der Energie, um irgendwo anzuhalten. Also fahre ich weiter. Und weiter. 90 Kilometer. 95. 100. 105. 110. 114,5. Bis ich an einem Campingplatz in Pello ankomme, der noch nicht saisonfertig und geschlossen aussieht. Ich gehe trotzdem Richtung Standplätze und zur Wiese am Fluss und breite mein Zelt aus, vielleicht werde ich morgen auch noch versuchen, die an der geschlossenen Rezeption angeschlagene Nummer zu erreichen.

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Beim Zeltaufbau bin ich sehr dankbar über lange Kleidung, denn die Mücken sind zahlreich und penetrant wie nie. Schweden habe ich fast 2100km ohne einen Stich durchgehalten, vielleicht wird das hier schnell geändert. Ins Zelt komme ich dann aber noch so eben ohne, kurz nach dem Reinkriechen wachen aber auch gleich 12 blutrünstige Sauger vor meiner Tür.

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